Die Kazemat 95 S von der Maaslinie ist wirklich nicht sehr groß. Wenn man sie im Oorlogs Museum in Overloon zwischen den Bäumen stehen sieht, wirkt sie eher schutzlos denn aufhaltend. Woher wurde sie ins Oorlogs Museum verbracht? Wie war sie eingesetzt? Was hat sie erlebt? In unserer dritten Story aus den Niederlanden des Jahres 1940 widmen wir uns dem Bunker „Kazemat 95 S“.
Bei meinen Recherchen zum Bunker „Kazemat 95 S“ bin ich auf eine Seite in niederländischer Sprache gestoßen, die nicht nur sehr viele Details und Fotos zu unserem Bunker in Overloon zeigte. Dort fand ich auch einige historische Hintergründe, die ich noch wesentlich spannender fand, als die Millimeterdicke der Bunkerwände & Co . Soweit es meine rudimentären Kenntnisse der niederländischen Sprache zuließen, habe ich den Text übersetzt und aus dem Elaborat eine Zusammenfassung erarbeitet. Ich hoffe, dass mir nicht zu viele Fehler untergekommen sind.
Spannend war es und an einer Stelle auch recht bedrückend. Danke an dieser Stelle mal wieder an FrankM für seine hervorragende Dokumentationsarbeit. Am Ende des Artikels ist auch der Link zur niederländischen Quelle zu finden. Dort findet ihr noch einige weitere sehr interessante Aufnahmen. Aber nun zur Story, der ich FrankMs Bilder hinzugefügt habe.
Das Jahr 1939
Nach der Entscheidung, an der Maas eine durchgehende Widerstandslinie zu bilden, begann man im Jahre 1939 für einen Betrag von 10 Millionen Gulden ( das entspricht etwa 4.530.000 Euro nach heutigem Maßstab ) Bunker am westlichen Maasufer zwischen Katwijk und Oeffelt zu bauen.
Technisches zum Bunker „Kazemat 95 S“
Der Entwurf der Bunker sah vier unterschiedliche Typen vor:
- einen Stahlguss G-Bunker in 35 Varianten
- den flankierende B-Bunker in 5 Varianten
- den Stirn- und flankierenden S-Bunker in 4 Varianten
- den SWZ S-Bunker für schwere Maschinengewehre in 3 Varianten
Der Stahlbetonbunker 95 des S-Typ (3a) mit Hinterein- und Ausgang ist ein leichtes, einfaches Bauwerk und im Vergleich zu den anderen Bunkern eher günstige Stellung mit drei Schießscharten, die zusammen ein Schussfeld von 190° haben. Die drei Schießscharten waren auch der wunde Punkt des Bunkers. Nur über diese drei Schießscharten konnte die Besatzung des Bunker „Kazemat 95 S“ nach vorne und seitlich feuern. Gegen Gewehr- und Maschinengewehr war die Besatzung durch die 20mm-Stahl-Schießschartenblenden geschützt. Geschosse von Geschützen durchschlagen diese Stahlplatten allerdings leicht. Wegen der vielen aus dem Beton ragenden Haken zur Anbringung von Tarnmaterialien wurden diese Bunker auch „Stekelvarken“ ( Stachelschwein ) oder „Spinnenkop“ ( Spinnennetz ) genannt.
Unser Bunker „Kazemat 95 S“ wurde mit leichten MGs ( Mitrailleur M.20 ) ausgestattet.
Kazemat 95 S – Der leichte MG-Bunker
Modell: S (3a) (Stachelschwein, Spitzname Spinnennetz)
Entwurf: Centraal Inundatie en Technisch Bureau (15. April 1939)
Zeichnungsnummer: 1423/tG
Erbaut durch: N.V Bataafsche Aanneming-Maatschappij
Baujahr: 1939
Schussrichtung: frontal und seitlich
Schussfeld: 190° (70° Überschneidung durch die Schießscharten)
Widerstandskraft: W12-15 (was auch immer das ist…)
Wandstärke: Decke / Front: 0,8m / 1m Stahlbeton
Bewaffnung: Mitrailleur M.20
Besatzung: 3 Mann
Kosten: ca. 2.500 Gulden ( etwa 1.465 Euro )
Koordinaten: 51,707782 N, 5,954657 E // Die Google-Map führt euch dorthin. Ihr findet euch dort an der Maas wieder. Es wäre eine Sache, die anderen 18 Bunker dort einzuzeichnen.
Die Standorte der Bunker
Die Standortplanung begann am 9. März 1939. Am 16. März wurde beschlossen, 19 Bunker zwischen St. Agatha und Katwijk in den Deich der Maas zu bauen. Diese Bunker werden etwa 4 bis 5 Meter tief zum Teil in der Innenböschung und zum Teil in der Außenböschung des Deiches eingelassen. Der Verteidugungsminister trieb das Bauprojekt voran, um so schnell als möglich die Widerstandlinie einsatzbereit zu bekommen. Unser Bunker „Kazemat 95 S“ aus Overloon war einer dieser 19 Bunker.
Am 17. März trägt ein Ingenieur Einwände gegen den Einbau der Bunker in die Deiche vor.
- Durch das Aufgraben der Böschung schwächt dies den Deich. Auch das Auffüllen der Lücken zwischen Bunker und Grabungswand wird in den ersten Jahren eher als eine Schwäche im Deich bestehen bleiben.
- Längs der Bunker wird Sickerwasser gefährliche Gänge bilden.
- Es besteht die Gefahr, dass sich Risse in Deichwänden und -böden bilden, die für den Fortbestand des Deichs eine Gefahr darstellen.
- Die Nähe zu Häusern fördert zudem Vandalismus, lockt Ratten an und Geflügel.
Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Bunker ein massives Verkehrshindernis darstellen.
Am 20. März 1939 stellte ein Verwaltungsorgan fest, dass ein Gesetz zum Hochwasserschutz aus Nordbrabant aus dem Jahr 1905 greift. Dieses besagt „Zwischen dem 15. Oktober und dem 1. April dürfen keine Grabungen am Deichkörper stattfinden. Spätestens am 15. Oktober müssen die Deiche wieder gefüllt werden.“ Infolgedessen konnten die Grabungsarbeiten für unseren Bunker leider nicht vor dem 1. April oder nach dem 15. Oktober stattfinden. Dies hatte zur Konsequenz, dass die 19 Bunker bis zum 15. Oktober des Jahres 1939 fertig sein mussten.
Es gab noch einiges Hin und Her. Schließlich begnn der Bau der 19 Bunker Anfang Juni. Der Bauplan sah eine Fertigstellung zum 1. September 1939 vor. Die Telefonleitungen wiederum sollten zu diesem Zeitpunkt nich nicht verlegt werden.
Man sah verschiedene Tarnverfahren vor. Der Bunker „Kazemat 95 S“ war als Schäferei am Deich getarnt. Allerdings zeigt es sich bei der deutschen Invasion, dass die Deutschen alle Positionen der Bunker kannten.
Der 10. Mai 1940
Unter dem Kompaniechef Reserve 1e Luitenant C.A. van Klinkenberg meldet Sergeant F.A. van Liempt…
„…. Die Artillerie eröffnete das Feuer. Wir wurden über eine Stunde lang durchgeschüttelt. Überall sieht man ängstliche Gesichter. Es war ein Geräusch, dass einem Hören und Sehen verging. Die Bunker wurden einer nach dem anderen ausgeschaltet. Es begann mit Bunker 90. Es hagelte bis in unsere Stellung Artilleriegranaten und Mörsereinschläge.
Plötzlich gab es einen großen Knall. Unser Bunker wurde getroffen. Brocken flogen um uns herum. Aber unsere Gruppe war noch intakt. Es war alles andere als angenehm. Wir machten uns unsere Gedanken. In der Zwischenzeit gab es heftiges Feuer. Ich gab Anweisung, keine unnötige Munition zu verschwenden. ‚Jawohl, Sergeant‘ war das letzte Wort, was ich aus unserem Bunker hörte.
Noch kaum 10 Minuten später gab es einen Volltreffer durch die rechte Luke, die dem Leben von drei tapferen Soldaten ein Ende setzte, die Höhen und Tiefen mehr als 12 Monate gemeinsam geteilt haben. Ich war völlig niedergeschmettert. Dies war exakt um 08:30.
Ich habe mich dann wieder mit meiner Gruppe am Wehr unterhalten und den anderen Soldaten gesagt – um sie nicht zu beunruhigen – dass die Maschinengewehre zerstört seien und dass wir uns auf unsere Gewehre würden verlassen müssen. Nach einer Stunde durchschlug ein Geschoss die Brüstung und riss eine Eisenplatte heraus, die den Kameraden neben mir traf. Zum Glück hörte ich ihn kurze Zeit später wieder rufen: ‚Wie geht es mit Ihnen, Sergeant?‘ Plötzlich war alles mucksmäuschenstill, als ob es abgesprochen war.“
Der Sanitäter will versuchen, was möglich ist. Soldat Jan Bavinck macht sich auf den Weg zum Bunker 95 S. Er weiß nicht, dass all seine Hilfe für die 95 S bereits zu spät kommt. Auf dem Weg zu seinen Kameraden wird er tödlich verwundet. Für ihn ist der Krieg um 17:00 für immer zu Ende.
Diese Soldaten sind damals im Bunker 95 S gefallen:
Soldat M. van’t Geloof aus Ouddorp (31 Jahre)
Korporal A. J. Jacobs aus Helmond (28 Jahre)
Soldat J. Poppeliers aus Valkenswaard (35 Jahre)
Soldat J. Bavinck aus Breda (24 Jahre), auf dem Weg zum Bunker 95 S, um seinen Kameraden zu helfen.
Das Jahr 1942
Im Frühjahr 1942 begann sich in Deutschland der Mangel an Stahl für die Kriegsindustrie bemerkbar zu machen. Die Blenden der Schießscharten werden nach Deutschland transportiert.
Quelle: standhouden.nl (Niederländisch)
Bildnachweis: © alle FrankM