Vater

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Die Vergangenheit holt einen ein. Dann und wann. Und immer unerwartet. Und immer voll und ganz. Samstag geschah es. Und man schnellt zurück in der Zeit. 35 Jahre. In nur einer Sekunde. Nein, es ging schneller. Viel schneller.

Eine Sekunde des Verweilens

Der Blick gleitet durch die Vitrine. Springt von Figur zu Figur. Bleibt stehen, springt weiter. Das Auge genießt den Anblick. Springt weiter. Das Herz genießt den Anblick. Figuren aus dem Erzgebirge. Nicht groß. Manche zwei Zentimeter, manche größer. Weihnachten steht vor der Tür. Jetzt sieht man sie wieder in den Schaufenstern und Vitrinen stehen. Ich genieße den Anblick. Es hat was von „Da komm ich her“. Nein, nicht aus dem Erzgebirge. Mehr „Deutschland“. Die kleinen Figuren aus dem Erzgebirge sind sowas urdeutsches. Da spürt man seine Wurzeln wieder. Wie sie einen halten, wie sie Stabilität und Kraft geben, das ganze Jahr über. Doch wenn ich die Figuren sehe, dann spüre ich sie wieder. Sie sind da. Und das ist gut so.

Das Auge springt weiter. Nimmt noch eine mit. Springt weiter. Noch eine. Es tut gut. Ich kann es genießen. Das Auge springt weiter. Bleibt abrupt stehen. Zwei kleine Schornsteinfeger. Vater. Mein Blick klebt fest. Verharrt während die Seele die Distanz der 35 Jahre überwindet. Vater war Schornsteinfeger. Ist es noch. Was ist das? Ja, der Sog der Erinnerung zieht mich in einer Spirale in das Jahr 1988. Es hätte noch so viel zu sagen gegeben. Es hätte noch so viel zu fragen gegeben. Hätte es. Und jetzt bricht es auf. Umschlingt mich. Reißt mich zurück und wieder ist eine Sekunde um. Und wieder spüre ich den Ruf aus der Vergangenheit.

Der Ruf ist da. Seit damals. Doch jetzt ist er lauter als je zuvor. Die Zeit ist gekommen, in Dialog zu treten. Nicht heute. Nicht vor dieser Vitrine. Es braucht Stille. Und Zweisamkeit. Die beiden tragen ein Herz und ein Kleeblatt vor sich her. Ja, das ist Vater. Das hat er mir gegeben. Mein großes Herz, viel Glück, einen festen Stand auf meinem Platz in dieser Welt. Ich spüre die Brücke durch den Strudel der Zeit. Ich betrete sie. Sie zu überqueren braucht Zeit. Mehr als die fünf Sekunden, die mittlerweile vergangen sind. Fast mechanisch schreite ich weiter auf der Brücke. Das Bild wird schwächer. Nicht heute. Wenn es soweit ist, kommen die Bilder wieder. Ein letzter Blick. Ich sehe sein Gesicht. Ich spüre das Ziehen im Herzen. Es reißt mit Macht. Das Bild wird schwächer, taucht weg.

Ein Blick zum Mann hinter dem Tresen. „Die beiden!“. In einer kleinen Papiertüte nehme ich sie an mich, trage sie mit und in mir. Sie werden in meiner Nähe sein, wenn mir die Brücke wieder erscheint. Dann werde ich die nächsten Schritte gehen.

Vater.

Es steht an. Ich freue mich aufs Wiedersehen. Es gibt so viel zu sagen. Es gibt so viel zu fragen. „Vater“.

Über den Autor

Sturmi ist passionierter Dioramen- und Modellbauer und Table-Top-Spieler. Seinen Einstieg fand er über das frühere Spielsystem "Behind-Omaha" von Samy, aktuell spielt er "Poor Bloody Infantry/PBI", "Geile Scheiße", "DBMM", "ARMATI", "SAGA" und "Bolt Action"

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