„Für den Langschläfer“ hat er geschrieben, der Frank. Und „damit Du nicht von früh bis spät für Deine 3 undankbaren Leser rackern musst, …“. Ist er nicht lieb? Einen schönen Bericht über holländische Bunker hat er zu unserer Serie „Niederlande @ 1940“ nachgeschoben und den möchte ich euch mal nicht vorenthalten. Hier also der O-Ton von FrankM.
Eine holländische MG-Kasematte der Bauart S3
Als im Juni 2007 im niederländischen Volkel die „Luchtmachtdagen 2007“ stattfanden, war ich der Meinung diese unbedingt einmal besuchen zu müssen. Volkel war mit wenig mehr als 100 km. Autofahrt fast so etwas wie ein „Heimspiel“ für mich und da Deutschland – nicht erst seit Ramstein – inzwischen ein weitgehend Luftwaffenfreies Land geworden ist, war es ungewiss, wann sich die Gelegenheit, eine derartige Veranstaltung in erreichbarer Entfernung besuchen zu können, noch einmal anbot.
Dummerweise war ich nicht der einzige, welcher auf diese Idee kam. Zusammen mit gefühlsmäßig halb Holland und zahlreichen deutschen Besuchern „zuckelte“ ich im Schritttempo über die überfüllten Landstraßen in Richtung Volkel. Angesichts des gemütlichen Tempo blieb genug Gelegenheit, die Landschaft zu bewundern – weshalb es vermutlich auch „Landstraße“ heißt.
Leider kann ich im Nachhinein den genauen Ort nicht mehr lokalisieren, aber während ich versuchte, neue Rekorde im Langsamfahren zu erreichen, fiel mir jenes kleine Teilchen am Straßenrand auf. Also nicht lange gezögert, am nächsten Feldweg die Landstraße verlassen und ein paar Hundert Meter zu Fuß zurück spaziert.
Der Westwall – Vom Denkmalwert des Unerfreulichen
Da ich irgendwann einmal das sehr empfehlenswerte und leider nur noch antiquarisch erhältliche Buch „Der Westwall – Vom Denkmalwert des Unerfreulichen“ gelesen habe, wusste ich, dass es sich hierbei vermutlich um eine niederländische MG-Kasematte vom Typ S3 handelte, seinerzeit freundlich „Stachelschwein“ und „Spinnenkopf“ tituliert.
Überlegungen eines Sofagenerals
Die Lage selbst schien mir als Laien etwas ungünstig gewählt. Rundherum freies, plattes Land, präsentierte sich dieser kleine Bunker wie auf dem Präsentierteller. Andererseits: Wo in Brabant gibt es kein freies, plattes Land und wer weis heute noch, nach welchen Kriterien der Standort seinerzeit gewählt wurde? Soweit es die umgebende Landschaft betrifft, gehe ich jedoch nicht davon aus, dass sich diese seit dem Mai 1940, dem deutschen Angriff auf Holland, nennenswert verändert hat. Lediglich die in Schussrichtung befindlichen Bäume entlang der Landstrasse nach Volkel dürften zu jung gewesen sein, um diese Stelle bereits 1940 zu säumen.
Vor dem Bunker und parallel zur Landstraße befindet sich heute – und vermutlich bereits damals – ein Wassergraben. Die Breite habe ich nach der bewährten Formel „Ï€ x Daumen“ auf ca. 4,5 m geschätzt. Vor einem Test der Wassertiefe habe ich damals leider abgesehen. Hierzu fehlte mir irgendwie der notwendige Entdeckergeist. Angesichts der auf dem Foto sichtbaren Bepflanzung dürfte die Tiefe jedoch nur minimal sein und als Annäherungshindernis weder damals, noch heute keinen nennenswerten Wert besitzen.
Wieder zu Hause angekommen, griff ich mir das schon erwähnte Buch und versuchte, zusammen mit meinen diversen Notizen und fliegenden Zetteln, die Hintergründe zu diesem kleinen Bunker zu ergründen.
Der kleine, sympathische (und leider zubetonierte) Betonklotz war eine MG-Kasematte vom Typ S3a, welche man in Deutschland als „Dreischartenstand“ bezeichnen würde. Seine Spitznamen „Stekelvarken“ (= „Stachelschwein“) und „Spinnekopp“ (= „Spinnenkopp“) erhielt er wg. der auf seiner Oberseite herausragenden Stahlstäbe, welche der Befestigung von Tarnnetzen dienen sollten.
Ende der 30-Jahre gebaut und u.a. in den niederländischen Verteidigungslinien der Grebbe- und der Maas-Linie, sowie der Peel-Ram-Stellung eingesetzt, zählte die Wehrmacht nach Beendigung der Kampfhandlungen angeblich 777 Kasematten der Bauart S (worin allerdings auch zahlreiche Kasematten anderer S-Typen, wie z.B. des Typs S7, d.h. mit 7 Scharten und 2 Eingängen enthalten waren). In niederländische Quellen wird die Zahl der S3-Kasematten überwiegend mit 763 angegeben.
Die S3-Kasematten mit ihrem 6-eckigem Grundriss verfügten über 1 Schießscharte frontal, sowie je 1 Schießscharte links und rechts hiervon in den zurückgezogenen „Flügeln“, bzw. „halblinks“ und „halbrechts“ zur Frontseite. Die Außenmaße dieses Bunkertyps betrugen 6,2 m x 3,6 m, bei einer trapezförmigen Grundform (Jaaa… die Mathematiker werden mich jetzt erschlagen wollen. Tatsächlich ist die Grundform kein Trapez, sondern besteht aus einem „hinterem“ Rechteck und einem „vorderen Trapez“).
Da ich keinen Grund habe mir etwas auf meine Mathematikkenntnisse einzubilden – was jeder meiner ehemaligen Lehrer bestätigen wird – und ich auch nicht mit Taschenrechner und Maßband bewaffnet erneut ausrücken wollte, habe ich mehrere Zeichnungen aus Büchern, Notizen und dem Internet miteinander verglichen, wobei ich nach der bereits genannten „Ï€ x Daumen“-Formel immer wieder auf folgende weiteren Messwerte kam: Die Frontseite müsste ca. 2 m, die beiden „zurückgezogenen“ Flügel und die Seitenwände jeweils ca. 2,3 m lang, bzw. breit gewesen sein. Die Betonung liegt hierbei auf „müsste“. Irren ist bekanntlich menschlich, denn vergleicht man die zahlreichen im Internet und in der Literatur kursierenden Zeichnungen mit den Fotos erhaltener Kasematten, so wird man feststellen, dass zumindest die Seitenwände rein optisch in der Realität wesentlich kürzer zu sein scheinen.
Die Betonstärke bestand frontal und seitlich, sowie auf der Bunkerdecke nur aus ca. 80 cm und auf der Rückseite aus ca. 60 cm dickem Stahlbeton. In den mir vorliegenden Quellen und Notizen wird die Breite der Schießscharten mit 35 cm angegeben, wobei diese ca. 1 m unter der Bunkeroberkante abschlossen. Die – hier leider zubetonierten – Schießscharten in den Betonwänden waren mit Stahlplatten versehen, welche eine Schussöffnung für den MG-Lauf enthielt.
An den Fotos ist deutlich zu erkennen, dass sich ein Teil des Bunkers unter der Erde befunden haben muss. Gehe ich von den Zeichnungen in dem erwähnten Buch aus, muss der Bunker eine Gesamthöhe von ca. 3 Metern gehabt haben. Da die Außenöffnung nach diesen Zeichnungen ca. 1,2 m hoch gewesen sein wird, und die Schießscharten ca. 1 m unter der Bunkerdecke endeten, müsste dieser kleine Bunker etwa 1 m tief im Boden eingegraben sein.
Die Kasematten der Bauart S3 wurden in 3 Versionen unterschieden.
- Kazemat S3a
Bauart und Ausführung wie hier beschrieben. - Kazemat S3a v
Bei einigen wenigen S3-Kasematten wurde die Betonierung der Front- und Seitenwände auf 1 m verstärkt. Ob dieses auch für die Deckenarmierung galt, ist mir leider nicht bekannt. - Kazemat S3k
Im Gegensatz zu den Bauarten Kazemat S3a und Kazemat S3a v erfolgte der Zugang hier nicht direkt über eine „gewöhnliche“ Zugangsluke auf der Rückseite. Die Kasematten der Bauart S3k lagen tiefer als das hinter ihnen liegende Gelände, sodass vor der rückwärtigen Zugangsluke ein Betonschacht mit in den Beton eingelassenen Steigeisen, bzw. Sprossen „angesetzt“ war, welcher zu der eigentlichen, tiefer gelegenen Zugangsluke führte. Diese Bauart fand z.B. beim Einbau in Deichwälle Verwendung.
Unser kleines Betonklötzchen dürfte also vermutlich eine Kazemat S3a sein, oder – was ich vor Ort nicht feststellen konnte – ggf. eine Kazemat S3a v.
Um Missverständnisse zu vermeiden:
Diese Bunker hatten zwar 3 Schießscharten, waren jedoch nur mit einem MG ausgerüstet, bzw. mit einer MG-Bedienung besetzt.
Die Bewaffnung der Kazemat S3
1940 verfügte die niederländische Armee über die unterschiedlichsten MG-Typen, wie z.B. leichte Lewis-MG und schwere Vickers-MG, sowie zahlreiche ehemals deutsche Spandau-MG 08 und 08/15 aus dem 1. Weltkrieg, wobei die letzteren zur Flugabwehr eingesetzt wurden. Zum Einsatz in den verschiedenen niederländischen Bunkern und Festungswerken waren das schwere 6,5-mm-MG Schwarzlose M.08 vorgesehen, von welchen die niederländische Armee im Mai 1940 rd. 2.300 Stück besaß, sowie – insbesondere für die S3-Kasematten – das leichte Lewis-MG, welches in den Niederlanden unter der Bezeichnung Lewis M.20 verwendet wurde. Mit rd. 8.400 Stück im Bestand bildete dieses noch aus dem 1. Weltkrieg stammende leichte MG einen wesentlichen Bestandteil der niederländischen Infanteriewaffen während der Kampfhandlungen im Mai 1940. Im Gegensatz zur ursprünglichen Ausführung mit 47-Schuss-Trommelmagazinen verwendeten die niederländischen Truppen jedoch ein im eigenen Land hergestelltes 97-Schuss-Trommelmagazin.
Soweit es die auf den Fotos sichtbaren kleinen Rohre links und rechts von der rückwärtigen Zugangsöffnung betrifft (Rote Markierungen), so scheinen diese tatsächlich Lüftungszwecken gedient zu haben. Leider habe ich es versäumt, den Durchmesser zu ermitteln. Aber ungeachtet dessen könnte ich mir als Laie vorstellen, dass dieses im Falle einer Nahbekämpfung eine nicht unerhebliche Schwachstelle dieser Konstruktion darstellt. Selbst für den Fall, das die Zugangsluke eine Nahverteidigungsscharte besessen haben sollte.
Der Gefechtswert der Kazemat S3
Der Gefechtswert dieser MG-Bunker wird aus heutiger Sicht als nicht allzu hoch bewertet. Nach heutigen Maßstäben handelt es sich bei den „Stachelschweinen“ und „Spinnenköpfen“ weniger um Bunker, als vielmehr um verbunkerte MG-Nester, welche meines Wissens frontal in Feindrichtung ausgerichtet waren. Nennenswerten Widerstand für die im Mai 1940 angreifende Wehrmacht bildeten sie nicht, sondern wurden überwiegend bereits nach kurzem Artilleriebeschuss ausgeschaltet.
Ungeachtet dessen war meine kleine Begegnung mit diesem unscheinbaren Betonklötzchen am Wegesrand durchaus lehrreich für mich, konnte ich doch im Rahmen meiner Recherche einiges über das holländische Heer und seine Verteidigungsvorbereitungen am Vorabend des 2. Weltkrieges lernen. Leider handelt es sich hierbei um ein Kapitel des 2. Weltkrieges, welches in Deutschland so gut wie nicht beachtet wird.
Vielleicht sollte ich mir grundsätzlich eine Digicam ins Handschuhfach legen. Wer weis, was man sonst noch am Wegesrand sieht. ïŠ
FM
Literatur- und Quellenhinweise:
„Der Westwall – Vom Denkmalwert des Unerfreulichen – Führer zu den archäologischen Denkmälern im Rheinland“
Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege, Bd. 1
Anmerkung: Das vorliegende Buch besteht aus dem Textwerk Bd. 1 und einem ergänzenden Kartenband 2. Der hier vorgestellte Bunker ist auf dem Kartenwerk nicht verzeichnet, da sich dieser außerhalb des geographisch eingegrenzten Buchthemas befindet.
Eine weitere interessante Quelle ist das Internetportal www.grebbelinie.nl. Die Webseiten sind zwar in Holländisch gehalten, aber überwiegend auch ohne holländische Sprachkenntnisse verständlich. Notfalls bleibt immer noch trotz aller Unzulänglichkeiten das Google-Sprachtool.
Bildnachweis: © alle FrankM